Comparable Worth Index: Ein „Fieberthermometer“ für Unternehmen
Ein Interview mit Dr. Christina Klenner
Weiblich dominierte Berufe gelten weniger – und werden in der Regel schlechter bezahlt. Doch wie lassen sich Berufe überhaupt miteinander vergleichen und Arbeitsanforderungen und Belastungen messen? Wie unterschiedlich bewerten wir „Frauen-“ und „Männerberufe“? Der Comparable Worth Index beweist erstmals statistisch, dass gleichwertige Arbeit von Frauen und Männer nicht gleich entlohnt wird. Dr. Christina Klenner erklärt, wie Unternehmen den Index als „Fieberthermometer“ für gerechte Bezahlung nutzen können.
Fair Pay Innovation Lab: Mit dem Comparable Worth Index haben Sie gemeinsam mit Ihren Kolleginnen Ute Klammer und Sarah Lillemeier ein Messinstrument geschaffen, mit dem sich die Bewertung von Arbeit vergleichen und der Einfluss des Geschlechts auf die Bezahlung zeigen lässt. Der Index baut auf bisherigen Instrumentarien auf, schließt aber eine wichtige Forschungslücke. Was ist das Neue daran?
Dr. Christina Klenner: Mit dem CW-Index erfassen wir geschlechtsneutral die Anforderungen und Belastungen im Beruf. Jeder Beruf erhält einen Punktwert, der anzeigt, wie hoch die Anforderungen und Belastungen zusammengefasst im Durchschnitt sind. Wir bauen dabei auf dem sogenannten Paarvergleich aus dem Entgeltgleichheits-Check, kurz eg-Check auf. Neu ist, dass wir das auf statistischer Grundlage tun. Befragungsdaten von rund 18.000 Arbeitnehmenden zu Arbeitsanforderungen wurden mit der amtlichen Statistik über die Verdienste in den Berufen verknüpft.
Mit dem CW-Index werden verschiedene Berufe vergleichbar gemacht. Es lassen sich tatsächlich „Äpfel“ mit „Birnen“ vergleichen, also auch typische Männer- und typische Frauentätigkeiten. Das ist erforderlich, um nicht nur gleiche, sondern auch gleichwertige Arbeit im Unternehmen gleich zu entlohnen. Das Gemeinsame, das wir messen, sind die Anforderungen und Belastungen im Beruf, die nach anerkannten Arbeitsbewertungsverfahren differenziert erfasst, bewertet und in einem Index zusammengefasst werden. Wir knüpfen an frühere Forschung anderer an, die sich seit Jahrzehnten mit Arbeitsbewertung und Tätigkeitsvergleichen beschäftigen, z.B. ABAKABA aus der Schweiz, die Aufwertungsdebatten in Deutschland und den USA vor 20 bis 30 Jahren.
Aus unseren CW-Index-Listen wird ersichtlich, wie hoch die Beanspruchung im eigenen Beruf im Vergleich zu anderen Berufen ist und welche durchschnittlichen Einkommen dafür gezahlt werden.
Ist die Unterbewertung von frauentypischen Tätigkeiten größer oder kleiner als vermutet?
Noch krasser als erwartet sind die Anforderungen in Pflegeberufen. Die „nichtakademischen Krankenpflege- und Geburtshilfefachkräfte“ haben einen relativ hohen CW-Index von 28 bei einer weit niedrigeren Bezahlung als andere Berufe mit demselben CW-Index. Sie sind gleichwertig mit Ingenieuren und Lehrkräften im Sekundarbereich.
Ein unerwartetes Ergebnis: Auch einige männlich dominierte Berufe wie Lokomotivführer und Elektroinstallateure bleiben hinter der Bezahlung anderer gleichwertiger „Männerberufe“ zurück.
Sie bezeichnen den CW-Index als ein „Fieberthermometer“ für Unternehmen. Inwiefern lässt sich die Analyse von der volkswirtschaftlichen Ebene auf Unternehmensebene übertragen?
Das „Fieberthermometer“ – in Anführungsstrichen – soll andeuten, dass der Index ein Messinstrument ist. Wir können an ihm ablesen, wie hoch zusammengefasst die Qualifikationsanforderungen, die erforderlichen Fähigkeiten, aber auch die psychosozialen wie körperlichen Belastungen bestimmter Berufe sind. Das steht nicht selten im Kontrast zu unserer oft von Stereotypen geprägten Alltagsvorstellung von Tätigkeiten.
Betriebe können die Tabelle mit den CW-Indexwerten aller Berufe zunächst als Referenz nutzen: Welche Tätigkeiten kommen bei uns vor? Wie werden sie im Betrieb in Relation zu den volkswirtschaftlich durchschnittlichen Verdiensten entlohnt? Zeigt sich im Betrieb ein Gender Gap in der Bezahlung dieser Berufe? Der CW-Index ließe sich aber für Unternehmen noch verfeinern, von der Ebene der Berufsklassifikation, die wir verwendet haben, auf die der konkreten Einzeltätigkeiten.
Im Zuge Ihrer Untersuchung haben Sie herausgefunden, dass speziell Tarifverträge zwar neutral formuliert sind, die zugrundeliegende Bewertung von Tätigkeiten jedoch alles andere als geschlechtsneutral ist. Wie lassen sich solche gewachsenen Strukturen aufbrechen?
Die Aussage, die in Ihrer Frage steckt, kann ich nicht pauschal unterschreiben. Zunächst zeigen die Daten, dass Frauen von Tarifverträgen mehr profitieren als Männer. Die ungleiche Entlohnung gleichwertiger Arbeit fällt geringer aus, wenn tariflich entlohnt wird. Trotzdem stimmt es natürlich, dass nicht geschlechtsneutrale Arbeitsbewertungen vorkommen. Wir haben dazu mit der EVA-Liste zur Evaluierung von Arbeitsbewertungsverfahren eine Checkliste mit Fragen entwickelt, mit deren Hilfe Tarifvertragsparteien ihre Verträge durchleuchten könnten.
Welchen Einfluss kann Transparenz auf die Neubewertung von Tätigkeiten haben, und wie bewerten Sie das Entgelttransparenzgesetz?
Transparenz ist wichtig, hilft aber nur, wenn auf festgestellte Unrechtmäßigkeiten auch Konsequenzen folgen. Wünschenswert wären klare Verpflichtungen und Sanktionen im Gesetz, und ebenso, dass das Gesetz schon ab einer kleineren Betriebsgröße greift. Auch eine Überprüfung über verschiedene Tarifgruppen hinweg müsste möglich sein. Wenn, wie derzeit im Entgelttransparenzgesetz, keine Überprüfung über verschiedene Tarifgruppen hinweg zulässig ist, kommt diese Regelung einem „Persilschein“ gleich und hilft nicht weiter, wenn Arbeit von Frauen unterbewertet und unterbezahlt ist. In der anstehenden Neubewertung von Tätigkeiten, die sich im Zuge der Digitalisierung stark verändern, sehe ich eine große Chance.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Dr. Christina Klenner ist Research Fellow am Institut für empirische Sozial- und Wirtschaftsforschung (INES Berlin). Sie war von 2000-2018 Referatsleiterin für Genderforschung im Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung in Düsseldorf. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind geschlechtergerechte Arbeitszeiten und Einkommensungleichheit von Männern und Frauen.
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