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Lohngerechtigkeitsgesetze in Deutschland, Großbritannien, Frankreich und Island
VON HENRIKE VON PLATEN
Überall auf der Welt ist Lohngerechtigkeit auf dem Vormarsch: In Deutschland können Beschäftigte Auskunft über die Gehälter der Kollegen verlangen, in Großbritannien sind Zahlen zum unternehmensinternen Gender Pay Gap Pflicht und in Island und Frankreich wird bestraft, wer nicht für Lohngleichheit sorgt. Zugleich melden sich derzeit besonders viele Lohnlückenleugner und Dinosaurier zu Wort. Ein sehr gutes Zeichen!
Seit das neue Entgelttransparenzgesetz für Unternehmen in Kraft getreten ist, ist der Aufruhr groß. Das Gesetz bringe rein gar nichts, ein zahnloser Tiger sei es, ein wirkungsloses Bürokratiemonster, ja, die Hölle, sind sich die deutschen Wirtschaftsmagazine und Tagespresse einig. Die Wirtschaftswoche titelte kürzlich gar, dass faire Bezahlung eine Utopie sei.
Das Ausmaß des Aufruhrs ist ein sehr gutes Zeichen. Denn der Widerstand gegen das Gesetz ist nicht mehr als ein letztes Aufbäumen all jener, die nicht wahrhaben wollen, dass sich die Arbeitswelt zunehmend verändert und dass die Veränderung unausweichlich ist. Es ist die Gegenwehr der Status-Quo-Verfechter und Lohnlückenleugner, die nicht anerkennen wollen, dass New Work sehr viel mehr als ein weiteres Management-Buzzword ist. Die Digitalisierung der Arbeitswelt ist nämlich vor allem eins: Die perfekte Komplizin für Lohngerechtigkeit und Chancengleichheit. So gibt es in der neuen Arbeitswelt immer flexiblere Arbeitszeitmodelle, ortsunabhängiges Arbeiten und viele andere Dinge, die Beschäftigten eine größere Vereinbarkeit ermöglichen und Unternehmen einen sehr viel größeren Talentpool als bisher erschließen.
Doch auch wenn der Wandel unausweichlich ist: Die Wirtschaft braucht in dem Veränderungsprozess Unterstützung und klare Richtlinien, an denen sich Unternehmen und Organisationen in Sachen Lohngerechtigkeit orientieren können.
Rückenwind aus der Politik
Überall auf der Welt werden neue Gesetze diskutiert und verabschiedet. In Deutschland ist das Entgelttransparenzgesetz, das Gesetz zur Förderung der Transparenz von Entgeltstrukturen, im Juli 2017 in Kraft getreten. Seit Januar 2018 sieht es einen individuellen Auskunftsanspruch für Beschäftige in Betrieben mit mehr als 200 Beschäftigten vor. Weiter fordert das Gesetz zur Durchführung betrieblicher Prüfverfahren in Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten auf und enthält eine Berichtspflicht zur Gleichstellung und Entgeltgleichheit in Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten.
Noch umfassender wird das Ziel „gleicher Lohn für gleiche oder gleichwertige Arbeit“ in Großbritannien gesetzlich flankiert: Seit April 2017 besteht für Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten eine Berichtspflicht – ein Jahr haben rund 9.000 Unternehmen mit insgesamt 15 Millionen Beschäftigten Zeit, ihre Daten zum unternehmensinternen Gender Pay Gap zu veröffentlichen. Dazu gehören das Durchschnittsentgelt, der Median für das Gesamtgehalt und Bonuszahlungen, außerdem müssen die Unternehmen darlegen, wie Frauen sich auf die unterschiedlichen Einkommensniveaus verteilen. Die Ergebnisse müssen online veröffentlicht werden, zum einen auf den Websites der Unternehmen selbst, zum anderen auf der Seite vom Equality Office der britischen Regierung. Das Gesetz fordert Unternehmen mit Gender Pay Gap außerdem dazu auf, gegebenenfalls einen Gleichstellungsplan zu erarbeiten: Was sind die Ursachen der internen Lohnlücke? Und mit welchen Strategien lassen sich die Lohnunterschiede aus der Welt schaffen?
Bis zum April 2018 wird die britische Lohnlücke also nach und nach für alle sichtbar. Die bislang veröffentlichten Ergebnissen zeigen dabei einen klaren Trend: Je gleichmäßiger sich Frauen und Männer auf die Karrierestufen in einem Unternehmen verteilen, desto kleiner ist der unternehmensinterne Gender Pay Gap. Transparenz macht also nicht nur den Gender Pay Gap selbst sichtbar, sondern lässt auch Rückschlüsse auf die Ursachen zu – was die Beseitigung des Missstands erheblich erleichtern dürfte.
Island: Ungerechte Bezahlung unter Strafe
Auch in Nordeuropa steht Transparenz hoch im Kurs – schon lange gehen die skandinavischen Länder in Sachen Vereinbarkeit und Entgeltgleichheit mit gutem Vorbild voran. Doch kein anderes europäisches Land hat so ehrgeizige Ziele in Sachen Lohngerechtigkeit wie Island: Als erstes Land der Welt erklärt der Inselstaat Fair Pay zur Managementaufgabe und stellt ungerechte Bezahlung unter Strafe.
Bereits 2012 erarbeiteten die isländische Regierung, Arbeitgebende und Gewerkschaften gemeinsam einen an das ISO-Verfahren angelehnten Equal Pay Standard, um Unternehmen und Organisationen jeder Größe, Branche und Zusammensetzung der Belegschaft zu befähigen, ein faires Vergütungssystem einzuführen, zu evaluieren und ständig zu verbessern. Das Ziel: Null Prozent Lohnlücke bis 2020. Im vergangenen Sommer beschloss das Land mit weniger als einer halben Million Einwohnenden daher ein bislang weltweit einzigartiges Gesetz: Seit dem 1. Januar 2018 müssen Unternehmen mit mehr als 25 Beschäftigten nachweisen, dass sie Frauen und Männer gleich bezahlen und sich alle drei Jahre nach dem Equal Pay Standard zertifizieren lassen. Wer seiner Beweispflicht nicht nachkommt, wird zur Kasse gebeten: Unternehmen, die die Vorgaben nicht einhalten, müssen für jeden Tag, den sie nicht zertifiziert sind, Strafe zahlen.
Und auch in Frankreich müssen Unternehmen mit Sanktionen rechnen: Seit 2019 sind Unternehmen mit mehr als 50 Beschäftigten verpflichtet, einen Gender Equality Indexwert zu berechnen und diesen jährlich zu veröffentlichen. Berechnet wird der Gesamtwert anhand von Einzelwerten bezüglich der unternehmensinternen Lohnlücke, aber auch Fragen zur Gleichstellung oder der Anzahl von Frauen in Führung. Auch hier drohen spürbare finanzielle Strafen, sofern weniger als 75 von 100 Punkten erreicht werden.
Das alles zeigt deutlich: Anders als manche hierzulande unken, ist faire Bezahlung keine Utopie, sie ist noch nicht mal eine Vision. Sie ist fast schon Realität. Kein Unternehmen auf der Welt wird sich der Entwicklung verweigern können, wie nicht nur die Citi-Bank in Deutschland mit nur einem Prozent Lohnlücke, die Transparenzpflicht in Großbritannien oder die ehrgeizigen isländischen Gesetze beweisen.
Eine klare Gesetzeslage kann die Entwicklung immens beschleunigen. So wird die Landsbanki Íslands umgerechnet etwa 120.000 Euro investieren müssen, um alle gesetzlichen Auflagen erfüllen zu können. "Wenn uns das Gesetz nicht zwingen würde, würden wir so weitermachen wie bisher und die Lohnlücke wäre in zehn Jahren noch nicht ausgeglichen", meint Baldur Jonsson, Human Ressources Manager des führenden isländischen Finanzinstituts. Unternehmen in die Pflicht zu nehmen, in eine Zukunft zu investieren, die uns alle anderenfalls teuer zu stehen kommen könnte, ist eine kluge und zukunftsweisende Entscheidung der isländischen Regierung: Kein Land dieser Welt wird es sich in Zukunft noch leisten können, Frauen ganz oder teilweise vom Arbeitsmarkt auszuschließen.
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