Junge Frauen an der Macht
FAIR PAY IN FINNLAND
Finnland wird von einer Frau regiert, die fünf Regierungsparteien werden von einer Frau geführt, von 18 Ministerinnen und Ministern sind 11 Frauen – und wer Finnisch spricht, muss sich gar nicht erst zwischen er und sie entscheiden, sondern kann das neutrale Fürwort hän benutzen, das praktischerweise alle meint. Aber werden im finnischen Gleichstellungsparadies auch alle fair bezahlt?
Seit dem 10. Dezember ist die Sozialdemokratin Sanna Marin Ministerpräsidentin Finnlands und damit die jüngste Regierungschefin der Welt. Mit 34 Jahren war sie bei Amtsantritt jünger als ihre Kolleginnen Jacinda Ardem in Neuseeland und Oleksiv Honcharuk in der Ukraine.
Doch nicht nur das: Marin regiert eine Koalition aus fünf Parteien, die allesamt eine Frau an der Spitze haben – und vier von ihnen sind ebenfalls jünger als 35 Jahre alt. Unter Marins 18 Ministerinnen und Ministern sind 11 Frauen und der Frauenanteil in ihrem Parlament liegt bei insgesamt 42 Prozent – nur im schwedischen Parlament sind mit 47 Prozent noch mehr weibliche Abgeordnete zu finden.
Diversitätszuwachs an der Spitze
Die finnische Regierungschefin wuchs in einer Regenbogenfamilie mit zwei Müttern auf, studierte als Arbeiterkind als erste aus ihrer Familie an einer Universität und ist Mutter einer kleinen Tochter. Die Sozialdemokratin betonte nach ihrer Wahl, wie stolz sie sei, dass es in der finnischen Politik offenbar weder auf das Alter noch das Geschlecht ankäme.
Tatsächlich sind junge Frauen sind in der skandinavischen Politik kein neues Phänomen und schon lange keine Seltenheit mehr. Als erstes Land in Europa führte Finnland 1906 das Frauenwahlrecht ein, und schon vor Marins Amtsantritt gab es an der finnischen Regierungsspitze Frauen, und auch die skandinavischen Nachbarländer Island (Katrín Jakobsdóttir), Dänemark (Mette Frederiksen) und Norwegen (Erna Solberg) werden von Frauen geführt.
Zugleich sind die vier skandinavischen Länder in Sachen Gleichstellung führend: Im Global Gender Gap Index 2020 sind Island, Norwegen, Schweden und Finnland auf den ersten vier Plätzen zu finden. Doch trotz relativ großer wirtschaftlicher Unabhängigkeit, hoher Arbeitsmarktpartizipation und guter Bildung verdienen auch die Finninnen pro Stunde weniger als ihre männlichen Kollegen: Die finnische Lohnlücke liegt bei 16,7 Prozent, und damit sogar leicht über dem europäischen Durchschnitt von 16 Prozent.
Gleichstellungspolitik für Europa
2019 hatte Finnland die EU-Ratspräsidentschaft inne und widmete der Gleichstellungspolitik im Herbst 2019 eine große Konferenz Helsinki. Deutschland wird die Diskussion in gleicher Funktion unter der Präsidentschaft von Ursula von der Leyen in diesem Jahr fortführen: In den ersten 100 Amtstagen der neuen EU-Ratspräsidentin soll ein Vorschlag für Transparenzmaßnahmen in der Wirtschaft erarbeitet werden.
Die finnische Gesetzgebung selbst sieht bislang keine spezifischen Entgelttransparenzgesetze vor. Entgeltgleichheit ist jedoch an vielerlei Stellen fest in der finnischen Verfassung und in der Gesetzgebung verankert: Das Gleichstellungsgesetz sieht seit 1995 verbindliche Gleichstellungspläne in Unternehmen mit mehr als 30 Beschäftigten vor. Das Antidiskriminierungsgesetz verbietet es, Menschen aufgrund ihres Alters, ihrer Herkunft, Nationalität, Sprache, Religion, Weltanschauung, Meinung, politischer Aktivität oder Gewerkschaftstätigkeit, aufgrund ihrer Familienbeziehungen, ihrer Gesundheit, Behinderungen, sexueller Orientierung oder anderer persönlicher Merkmalen zu diskriminieren. Und das Arbeitsvertragsgesetz, das die Gleichbehandlung aller Mitarbeitenden vorschreibt, enthält unter anderem Regelungen für die Rückkehr aus der Elternzeit.
12 Prozent bis 2025
Zudem wurde von 2016 bis 2019 ein Equal Pay Programm durchgeführt, das im März 2019 endete und dessen Fortsetzung derzeit im Dialog zwischen Politik und Sozialpartnern diskutiert wird. Denn trotz allerbester politischer Absichten, hervorragendem Wissensstand und jahrelanger Aufklärungsarbeit hat sich in der Umsetzung verhältnismäßig wenig getan. Gefragt – so lautet die Kritik – wären verbindlichere Maßnahmen und schärfere Gesetze. Ziel des finnischen Equal Pay Programms ist es, die Lohnlücke bis 2025 auf 12 Prozent zu reduzieren. Zum Vergleich: Island will im selben Zeitraum null Prozent erzielen.
Auch die finnische Frauenfußballnationalmannschaft kämpfte in den letzten Jahren vergeblich um eine Anpassung ihrer Bezahlung an die der Erst-Liga-Herrenmannschaft – die Frauen verlangten pro Spieltag das Gleiche zu bekommen. Bislang vergebens: Die Lohnunterschiede verstießen nicht gegen das Gleichgestellungsgesetz, lautete die Entscheidung der zuständigen Gremien.
Nokia: „Nichtstun wäre teurer“
Anders als im Sport haben zahlreiche Unternehmen in Finnland die Lohnlücke längst geschlossen: So hat der Handyriese Nokia – als eines von wenigen Unternehmen – die Entgeltstrukturen von weltweit 103.000 Mitarbeitenden analysiert und angepasst. Darunter Männer wie Frauen, allerdings betrafen die Anpassungen in 9 von 10 Fällen die Gehälter von Frauen. Um zu gewährleisten, dass keine neuen Ungleichbehandlungen entstehen, werden sämtliche Gehälter in Zukunft jährlich überprüft.
Um Diskriminierung künftig auszuschließen, sind für die Gehaltsfindung bei Nokia nicht vorherige Gehälter oder Wunschgehälter der Mitarbeitenden maßgeblich – sondern einzig und allein die Stellenbeschreibung und die Tätigkeitsanforderungen.
Nokia-CEO Rajeev Suri räumt ein, dass die Analyse und Angleichung der entdeckten Lücken kostspielig gewesen sei. Suri betont aber auch, um wieviel teurer es das Unternehmen zu stehen käme, wenn nichts unternommen würde: „Untätigkeit würde uns sehr viel mehr kosten. Und sie würde verhindern, dass wir all die großartigen Mitarbeiter mit den unterschiedlichsten Perspektiven gewinnen und halten, die wir für den Erfolg unseres Unternehmens brauchen.“
Auch diese Beispiel zeigt, dass es weder Programme noch Gesetze braucht, sondern nicht viel mehr als unternehmerischen Sachverstand: Gleichstellung ist ein Business Case – und keineswegs Frauensache. Konsequenterweise ist dafür in Finnland ein Mann zuständig: Der finnische Gleichstellungsminister heißt Thomas Blomqvist.
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