„Because it’s the smart thing to do!“
FAIR PAY IN KANADA
„Because it’s 2015!“ Mit allergrößter Selbstverständlichkeit begründete der kanadische Premier bei seinem Amtsantritt vor vier Jahren die paritätische Besetzung seines Kabinetts – spätestens seit 2015 gilt Kanada also in aller Welt als leuchtendes Vorbild in Sachen Gleichstellung und Diversity. Doch wie ist es im flächenmäßig zweitgrößten Staat der Welt eigentlich um die Lohngerechtigkeit bestellt? Wird das Land seinem zukunftsgewandten Ruf gerecht? In der neuesten Station unserer Reise um die Welt in etwa 80 Entgelttransparenzgesetzen werfen wir einen genaueren Blick hinter die kanadischen Kulissen.
Ausgerechnet Kanada, das für seine riesigen Wälder und schier endlose Wildnis bekannt ist, bildet in Sachen Nachhaltigkeit und Umweltschutz ein trauriges Schlusslicht. Dennoch gilt das Land insgesamt als eines der modernsten der Welt. Gerade was Gleichstellungsthemen und Diversity angeht, hat es einen extrem zukunftsgewandten Ruf. Aber wird es seinem Ruf auch in Sachen fairer Bezahlung gerecht?
Denn noch besteht Handlungsbedarf, wie auch Premierminister Justin Trudeau befand. Gleich bei Amtsantritt besetzte der Premier sein Kabinett mit den berühmten Worten „Because it‘s 2015!“ mit jeweils 15 Ministerinnen und 15 Ministern paritätisch. Doch trotz des deutlichen Signals konnte auch Kanada die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen bislang nicht schließen: 17,6 Prozent Gender Pay Gap weist das Land statistisch auf, so das Weltwirtschaftsforum. Damit landet Kanada im Global Gender Gap Report von 2021 international auf Platz 24.
Wegweisende Politik in den Provinzen
Um den Gender Pay Gap endlich zu schließen hat, wie in so vielen anderen Ländern auch, auch Kanada Entgeltgleichheitsgesetze geschaffen. So ist das Land seit 2018 Mitglied der Equal Pay International Coalition (EPIC). Schon seit 1971 gibt es ein landesübergreifend tätiges Gleichstellungsbüro und inzwischen auch ein eigenes Ministerium, das sich ausschließlich um die Gleichstellung von Männern und Frauen in ganz Kanada kümmert. Auf ähnliche Weise wird Gleichstellung auch in den einzelnen Staaten und Provinzen gefördert. Seit Januar 2021 veröffentlicht Kanada als erstes Land der Welt Vergleichsdaten zu den Einkommen von Frauen, Menschen mit Behinderungen und Angehörigen von indigenen Gruppen oder anderen Minderheiten in Unternehmen und Organisationen, die unter Bundesrecht fallen. Das Ziel: Das Bewusstsein für Pay Gaps in diesen Organisationen schärfen und den Arbeitgebenden die Chance geben, bei deren Schließung eine führende Rolle zu übernehmen. So sind Arbeitgebende unter Bundesrecht demnächst aufgefordert, in ihren Jahresberichten Angaben zu Einkommensunterschieden und zur Chancengleichheit unter ihren Beschäftigten zu machen. Diese Daten werden öffentlich einsehbar sein.
In Ontario, der zweitgrößten Provinz des Landes, trat der Pay Equity Act 1987 in Kraft. Das Entgeltgleichheitsgesetz verpflichtet Unternehmen ab einer Größe von 10 Beschäftigten, den Gender Pay Gap zu schließen und Tätigkeiten von vergleichbarem Wert für das Unternehmen auch gleich zu entlohnen. Für die Einhaltung der Verordnung ist eine Kommission zuständig, die Streitigkeiten schlichten, Anweisungen geben, Überprüfungen durchführen und Strafen verhängen kann, wenn die gesetzlichen Vorgaben nicht eingehalten werden. Der Wert von überwiegend von Frauen ausgeübten Tätigkeiten wird mit überwiegend von Männern ausgeübten Tätigkeiten verglichen. Eine geschlechtsspezifische Dominanz liegt dann vor, wenn mehr als 60 % der Arbeitsplätze in einem Tätigkeitsfeld mit Frauen oder Männern besetzt sind. Der Wert der ausgeübten Tätigkeiten wird anhand eines geschlechtsneutralen Arbeitsplatzbewertungssystems ermittelt, bei dem die Tätigkeiten auf der Basis von geistigen Anforderungen, körperlichen Anstrengungen, Verantwortung und Umgebungseinflüssen bewertet werden. Haben die Tätigkeiten von Frauen und Männern einen vergleichbaren Wert, müssen diese auch gleich entlohnt werden.
Seit 1997 gibt es auch in Quebec, der größten Provinz Kanadas, ein ähnliches Gesetz zur Entgeltgleichheit und eine ähnliche Kommission, in Anlehnung an das Verfahren in Ontario. Auch in Quebec sind Unternehmen ab einer Größe von 10 Beschäftigten verpflichtet, männer- und frauendominierte Tätigkeiten zu bewerten, Abweichungen in der Entlohnung zu ermitteln, etwaige Einkommensdifferenzen zu beseitigen und der Regierung von Quebec darüber jährlich Bericht zu erstatten. Darüber hinaus muss der Entgeltgleichheitsplan alle fünf Jahre aktualisiert werden. Wenn ein Unternehmen mehr als 100 Beschäftigte hat, muss für jeden Plan, der erstellt werden muss, ein Entgeltgleichheitskomitee berufen werden. Dem Komitee müssen Vertretende von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite sowie der offiziellen Berufsverbände (Gewerkschaften) angehören. Ein solches Komitee wird auch Unternehmen mit 50 bis 99 Beschäftigten empfohlen, obligatorisch ist es aber erst aber einer Größe von 100 Beschäftigten. Die Kosten für den gesamten Prozess müssen vom Unternehmen selbst getragen werden.
Entgeltgleichheitsgesetze auf nationaler Ebene
Auf nationaler Ebene wurde im Dezember 2018 ein neues Entgeltgleichheitsgesetz verabschiedet; im Oktober 2019 wurde eine Pay Equity Commissioner ernannt, die die Entgeltgleichheitsstelle innerhalb der kanadischen Menschrechtskommission einrichtet und leitet. Das Gesetz trat zum 31. August 2021 in Kraft und gilt unter anderem für die Regierung, Banken, überregionale Transportunternehmen, bundesstaatliche Unternehmen sowie Telekommunikationsunternehmen. Es verpflichtet Unternehmen mit zehn oder mehr Beschäftigten, aktiv für Entgeltgleichheit zu sorgen. So muss eine Entgeltanalyse durchgeführt werden, die dem Prozess ähnelt, der gesetzlich in Ontario und Quebec vorgeschrieben ist. Arbeitgebende, die unter das Bundesgesetz fallen, müssen erstens nachweisen, dass gleiche und gleichwertige Tätigkeiten von Männern und Frauen auch tatsächlich gleich bezahlt werden. Zweitens müssen sie gewährleisten, diese Gleichwertigkeit auch im weiteren Prozess aufrechtzuerhalten. Das Gesetz betrifft rund 1,3 Millionen Beschäftigte und gilt für etwa 4.600 Arbeitgebende in Kanada.
"Weil es das Klügste ist, was man tun kann!"
Damit zeigt sich Kanada extrem fortschrittlich und zählt im internationalen Vergleich zu den besonders konsequenten Entgeltgleichheitsvorreitern. Dabei handelt das Land im eigenen Interesse. Premierminister Trudeau zeigte sich in seiner Keynote auf dem Weltwirtschaftsforum 2018 überzeugt, dass Gleichstellung und Wirtschaftswachstum untrennbar zusammengehören: „Jede Führungskraft kann den Wandel selbst unverzüglich mitgestalten. (...) Jede Führungskraft kann Frauen einstellen, befördern und halten – und zwar nicht, weil sich das so gehört, oder weil es nett wäre, sondern weil es das Klügste ist, was Führungskräfte tun können.“
Dieser Artikel wurde erstmals im November 2019 veröffentlicht und im September 2021 auf den aktuellen Stand gebracht. Wir danken Karen Jensen und ihrem Team sehr herzlich für die Überprüfung der Fakten und für die Überarbeitung des Artikels. Karen Jensen war bis zum Oktober 2022 Federal Pay Equity Commissioner bei der Canadian Human Rights Commission.
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