Gleich grosse Stücke vom Kuchen
FAIR PAY IN SCHWEDEN
In Schweden scheint wie in so vielen skandinavischen Ländern vieles viel besser zu funktionieren als anderswo. Doch wie ist es im Land der Holzhäuser, Elche und Nordlichter wirklich um die Gleichstellung bestellt? Werden schwedische Männer und Frauen fairer bezahlt? Schweden- und Diversity Expertin Annika von Redwitz hat sich das für uns einmal genauer ansehen.
Ein Gastbeitrag von Annika von Redwitz
Wenn ich erzähle, dass ich Schwedin bin, höre ich von meinen deutschen Gesprächspartner:innen oft Sätze wie: „Warum bist du ausgewandert, in Schweden ist doch alles viel besser!“ oder „In Schweden haben Frauen es im Job viel einfacher. Warum bist du hier?“ Und wenn es nicht um Chancengleichheit geht, dann um die schönsten Kaffeepausen und die besten Zimtschnecken.
Aber stimmt es eigentlich, dass Männer und Frauen in Schweden gleich viel vom Kuchen bekommen? Natürlich ist es schön, wenn sich alle für mein Heimatland begeistern. Ich lebe seit 30 Jahren in Deutschland, habe die doppelte Staatsbürgerschaft und wünsche mir, dass auch Deutschland ein Land ist, in dem alle Menschen gerne leben und arbeiten, weil sie gleiche Chancen haben und z.B. gerecht bezahlt werden. Nach meiner Erfahrung gibt es in Schweden genau wie in Deutschland Sachen, die gut laufen. Und es gibt in beiden Ländern Verbesserungspotential.
Wenn es allerdings um Transparenz und Fair Pay geht, hat Schweden die Nase vorn. Das hat mehrere Gründe. Eins vorweg: Ein grundlegender Unterschied zwischen den beiden Ländern ist, dass die kleinste Einheit der Gesellschaft in Deutschland die Familie ist. In Schweden ist es das Individuum: jeder Mensch soll für sich selbst sorgen können, unabhängig von Familie und Beziehungsstatus. Anders gesagt: Finanzielle Unabhängigkeit ist in Schweden kulturell verankert.
Frühe Weichenstellung für die Gleichstellung
So wurde in Schweden schon 1971 die Individualbesteuerung eingeführt. Nicht nur, aber auch deshalb, ist es schon lange eine Selbstverständlichkeit, dass Frauen und Männer gleichermaßen ihr Einkommen verdienen. Die Folge: Der unbereinigte Gender Pay Gap betrug in Schweden 2019 11,8 Prozent – ein sehr guter Wert im internationalen Vergleich.
Und trotz hoher Erwerbstätigkeit bekommen schwedische Frauen im Schnitt mehr Kinder als deutsche Frauen. Die Geburtenrate lag in Deutschland 2015 mit 1,50 Kindern pro Frau unter dem EU-Durchschnitt von 1,58, Schweden mit 1,85 nach Frankreich und Irland auf Platz drei.
Natürlich sind nicht alle Frauen Mütter, und nicht alle Frauen können oder wollen Kinder haben. Aber der Vergleich der mutterschaftsbedingten Lohneinbußen zeigt, wie viel weniger gravierend Frauen auf dem schwedischen Arbeitsmarkt für die Mutterschaft bestraft werden als in Deutschland: „Die Jahresgehälter von Müttern in Schweden halbieren sich zwar unmittelbar nach der Geburt des ersten Kindes, sind aber ab einem Alter der Mütter von ca. 40 Jahren sogar höher als die kinderloser Frauen. Mütter von zwei Kindern haben hier bis zu ihrem 45. Lebensjahr insgesamt nur elf Prozent weniger Lohneinkommen generiert als Frauen ohne Kinder. Mütter von zwei Kindern haben in Deutschland bis zum Alter von 45 Jahren bis zu 42 Prozent weniger verdient als kinderlose Frauen." (Sigle-Rushton und Waldfogel 2007)
Transparenz als Normalzustand
Der Grundstein für mehr Geschlechtergerechtigkeit wurde in Schweden Anfang der 1970er gelegt. Aber nicht nur das: Die schwedische Bevölkerung ist Transparenz gewohnt. Schon bei der Geburt bekommen alle schwedischen Babys eine 10-stellige „Personennummer“. Diese wird im Laufe des Lebens bei jeder Finanztransaktion, aber auch bei der Schulanmeldung, bei der Hochzeit, beim Arzt, ja eigentlich immer abgefragt. Die Daten werden im Zentralrechner des schwedischen Finanzamtes gespeichert, und auf Anfrage bekommen Einwohner:innen und Unternehmen eine detaillierte Steuerauskunft über andere Bürger und Bürgerinnen. Es ist nichts Außergewöhnliches zu erfahren, was andere verdienen. Diese Transparenz schärft das Bewusstsein für Ungerechtigkeiten, auch für Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männer. Und Gerechtigkeit ist ein hoher Wert: Für Unternehmen mit mehr als 25 Beschäftigten gilt seit 2016, dass sie alle drei Jahre einen Bericht über den Stand der Gleichstellung, faire Bezahlung und Antidiskriminierung vorlegen müssen. Tauchen Unterschiede auf, müssen diese beseitigt werden – sonst drohen Geldstrafen.
Eine feministische Regierung
Als Schweden 2019 Gastland auf der Hannover Messe war, war ich vor Ort und habe den schwedischen Pavillon besucht. Es war auffällig, wie viel mehr Ingenieurinnen und andere weibliche Expertinnen die ausstellenden schwedischen Unternehmen an den Messeständen vertraten. Und einige dieser Frauen fragten mich verwundert: „Es sind aber schon sehr viele Männer hier auf der Messe, wo sind denn die Frauen?“
Auch diese Begebenheit ist ein Indiz dafür, wie erfolgreich die schwedische Gleichstellungspolitik in vielerlei Hinsicht ist. Und es ist klar, dass die Entwicklung im Bereich der Gleichstellung unmittelbare Auswirkungen auf Schwedens starke wirtschaftliche Entwicklung hat. Hinzu kommt: „Seit Oktober 2014 hat Schweden als erstes Land der Welt eine feministische Außenpolitik. Diese Politik basiert auf einer langjährigen Arbeit für Gleichstellung und Menschenrechte sowohl in Schweden als auch international.“
Auswandern nach Schweden?
Kein Wunder, dass nicht wenige davon träumen, nach Schweden auszuwandern oder bereits ausgewandert sind. Auf der Zufriedenheitsliste landet Schweden als Auswanderungsziel der Deutschen auf Platz 2. Ich lebe sehr gerne in Deutschland und fühle mich hier zu Hause – Deutschland ist meine zweite Heimat geworden. Gerade deshalb setze ich mich für mehr Gleichberechtigung, für faire Bezahlung und Chancengleichheit ein. Aber wenn wir mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz neue Gruppen anlocken wollen – z.B. auch hochqualifizierte Frauen aus technischen Berufen – dann müssen wir für mehr Vereinbarkeit und faire Bezahlung sorgen. Das erwarten nicht nur die Schwedinnen.
In Schweden haben übrigens alle Kinder das Schulfach „Kochen/Hauswirtschaft“. So lernen alle Mädchen und Jungs kochen und backen. Sie bekommen also nicht nur fast gleich viel vom Kuchen – sie können ihre Kuchen sogar selbst backen.

Annika von Redwitz unterstützt als zertifizierte Beraterin für Diversity Management und Business Coach Unternehmen und Organisationen bei der Definition, Planung und Umsetzung der passenden Diversity-Strategie. Über 25 Jahren leitete sie in der IT-Branche internationale Teams. Als Projektleiterin gestaltete sie die Einführung und Verankerung der firmenweiten SAP-Diversity-Strategie in der globalen Entwicklungsorganisation mit. Die gebürtige Schwedin lebt und arbeitet seit 1990 in Baden-Württemberg.
www.von-redwitz-consult.de
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