Gleichheit beim Salär, und zwar gschwind!
FAIR PAY IN DER SCHWEIZ
Kein Wunder, dass die sonst so zurückhaltenden Schweizerinnen im Sommer 2019 zum größten Frauenstreik der Geschichte aufriefen: Ausgerechnet die wohlhabende Schweiz landete 2018 im Globalen Gleichstellungsindex auf Platz 20. Von gleichem Salär ganz zu schweigen. Doch nun soll alles anders werden.
Ab sofort soll es in der Schweiz mit der Gleichstellung schneller vorangehen, die Gesetze werden strenger. Das Land, in dem Frauen erst seit 1971 wählen können, hat Nachholbedarf in Sachen Gleichstellung. Erst seit 1981 steht die Gleichbehandlung von Männern und Frauen in der Schweizer Verfassung, und es hat bis 1990 gedauert, bis das Frauenwahlrecht auch im letzten Kanton, in Appenzell, eingeführt wurde. Zwar gibt es seit 1996 das sogenannte Gleichstellungsgesetz, doch in der Realität sind Frauen noch immer benachteiligt.
2017 löste der Kinofilm „Die göttliche Ordnung“, der eindrücklich den langen Kampf der Schweizerinnen um das Wahlrecht schilderte, erneut eine größere Diskussion um den Stand der Gleichstellung in der Schweiz aus. Zu Recht: Ein Jahr später, 2018, landete ausgerechnet die wohlhabende Schweiz im Globalen Gleichstellungsindex auf Platz 20. Dabei ist eine hohe Wirtschaftskraft in den allermeisten Fällen ein klarer Indikator für einen hohen Grad an Gleichberechtigung. Die Schweiz hingegen hat mit 68.943 US-Dollar pro Kopf zwar das höchste Bruttoinlandsprodukt der Welt, gehört aber, was den Gender Index angeht, zu den europäischen Schlusslichtern. Eine traurige Bilanz.
Kein Wunder, dass es den sonst so zurückhaltenden Schweizerinnen im vergangenen Jahr erneut reichte: Am 14. Juni 2019 riefen sie zu einem der größten Frauenstreiks der Geschichte auf. Und das, obwohl in der Schweiz – anders als in Italien, Frankreich oder Deutschland – vergleichsweise selten gestreikt wird. Doch die Wut über die Ungleichbehandlung und eine Lohnlücke von noch immer 18 Prozent war ausreichend groß.
Streikende Schweizerinnen
Die Frauen knüpften damit an einen anderen großen Streik an. Am 14. Juni 1991 hatten sie schon einmal lautstark landesweit protestiert. Sie wollten nicht länger dulden, dass Männer für die gleiche Arbeit fast das doppelte Salär erhielten.
28 Jahre später sind es exakt die gleichen Gründe, die die Frauen auf die Straße treiben: Fast drei Jahrzehnte später verdienen Frauen noch immer weniger als ihre männlichen Kollegen, arbeiten in Teilzeitjobs, bekommen kleinere Renten und erledigen den Großteil der unbezahlten Arbeit in Haushalt und Familie.
Dabei gibt es in der Schweiz seit 2016 eine Charta für Equal Pay im öffentlichen Sektor, der sich alle Kantone und Gemeinden anschließen können. Gerade in den Schweizer Behörden wird Lohngerechtigkeit konsequent gefördert und umgesetzt. Die Vorbildfunktion für öffentliche und private Arbeitgebende wird sehr ernst genommen. 23 von 26 Kantonen haben die Charta unterschrieben. Die Monitoring-Ergebnisse der Jahre 2016 bis 2018 aus dem öffentlichen Bereich wurden 2019 veröffentlicht. Mit 16,7 Prozent ist die Lohnlücke im öffentlichen Sektor etwas niedriger als im privaten Sektor mit 19,6 Prozent.
Strenger, aber ohne Strafen
In der Privatwirtschaft hat sich wenig getan. Den Unternehmen war von 2009 bis 2013 ein Lohngleichheitsdialog angeboten worden. Doch die Lohnanalysen, die auf freiwilliger Basis erfolgen sollten, blieben eine viel zu seltene Ausnahme – nur 20 Unternehmen kamen der Einladung nach.
Ab Sommer 2020 wird es nun auch in der Schweiz strenger zugehen: Das Gleichstellungsgesetz soll für eine bessere Durchsetzung von Lohngleichheit sorgen. Ab dem 1. Juli 2020 erhalten Unternehmen mit 100 oder mehr Beschäftigten eine Frist, um ihre Entgeltstrukturen zu überprüfen. Bis spätestens zum Sommer 2021 müssen sie eine Lohnanalyse durchführen, und die Analyse künftig alle vier Jahre wiederholen. Logib, das Standardanalysetool des Bundes, bietet Unternehmen ab 50 Beschäftigten die Möglichkeit, einfach diese Analyse durchzuführen. Die Ergebnisse werden von unabhängiger Stelle geprüft und im privaten Bereich den Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen sowie Aktionärinnen und Aktionären zur Verfügung gestellt. Die Ergebnisse der öffentlich-rechtlichen Unternehmen werden öffentlich publiziert. Nach heftigen Diskussionen im Parlament zeigen sich Frauenrechtorganisationen von diesem Ergebnis enttäuscht: Sanktionen sieht das Gesetz keine vor.
Gut für die Menschen, gut fürs Unternehmen
Dass es auch anders geht, zeigt beispielsweise der Tabakriese Philip Morris. Von der Schweiz aus hat der globale Konzern mit Sitz in New York und international 82.000 Mitarbeitenden eine Entgeltgleichheitsinitiative gestartet und ohne gesetzlichen Zwang innerhalb weniger Jahre die Entgektstrukturen überprüft und angepasst. Zunächst hatte der Konzern sich nur in der Schweiz, dann global an allen Standorten über Equal Salary zertifizieren lassen, gleiche und gleichwertige Tätigkeiten auch gleich zu bezahlen. Vor Kurzem wurde das Unternehmen weltweit mit dem Equal Salary Zertifikat ausgezeichnet. Das Zertifikat gilt bis 2022, dann wird neu überprüft.
Noch andere Maßstäbe setzt in der Schweiz IKEA. Schon seit 2010 engagiert sich der Konzern unter CEO Simona Scarpaleggia um den Gender Pay Gap zwischen den etwa 3.000 Beschäftigten in der Schweiz zu schließen. 2015 erreichte es als erstes Unternehmen auf der Welt den höchsten EDGE Level. EDGE ist unabhängig und zertifiziert Unternehmen und Konzerne, die international tätig sind und mehr als 200 Mitarbeitende beschäftigen. Neben der Lohngleichheit werden Arbeitszeiten, Unternehmenskultur, Führung sowie Einstellung und Beförderung in Hinblick auf die Gleichstellung von Männern und Frauen im Unternehmen geprüft und nachgehalten. Bis heute hält IKEA Schweiz als einziges Unternehmen weltweit den höchsten Zertifizierungslevel. Die Gleichstellungsmaßnahmen wirken sich positiv auf die Menschen im Unternehmen, aber auch auf den wirtschaftlichen Erfolg aus, so Scarpaleggia: What better motivation could there be than the knowledge that what is good for women, men, families and communities is also good for business and endeavours of all kind!“
Ob mit oder ohne Sanktionen - die Entwicklung scheint kaum aufzuhalten: Google Schweiz will ab sofort für Entgelttransparenz sorgen und ab sofort die Stellensuche um Gehaltsangaben ergänzen, in Kooperation mit den Jobportalen und notfalls auf Grundlage von Schätzungen.
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