Tee trinken und weiterzählen
FAIR PAY IN GROSSBRITANNIEN
Der britische Equality Act verpflichtet Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten, Daten zur internen Lohnlücke zu veröffentlichen. Seit das Gesetz 2017 in Kraft ist, gab es darauf sehr unterschiedliche Reaktionen: Aber was bedeutet das Veröffentlichen der Gender-Pay-Gap-Daten eigentlich genau? Inwiefern hilft es Unternehmen, die Lohnlücke zu verkleinern? Und womit ist nach dem über allem schwebenden Brexit zu rechnen?
In guter Gesellschaft
In Sachen Entgelttransparenz steht Großbritannien den Transparenzpionieren Island, Frankreich und Norwegen in nichts mehr nach. Dabei ist es kein leichtes Unterfangen, ausgerechnet hier für Transparenz zu sorgen, wo Privatsphäre und Diskretion so hoch geschätzt werden. In Großbritannien, wo sogar die angemessene Höhe von Hecken reguliert wird, um sicherzustellen, dass niemand in der Heiligkeit seines Hintergartens gestört wird, entschied man, Entgeltstrukturen transparent zu machen. Doch während das britische Zuhause ein verschlossener Rückzugsort bleiben darf, wird der Arbeitsplatz immer einsehbarer.
Der umfassende Equality Act von 2010 bündelt 116 verschiedene Gesetze, die Frauen und andere Gruppen davor schützen, wegen ihres Alters, ihrer Herkunft, einer Behinderung oder aus anderen Gründen diskriminiert zu werden. Der Act enthält auch zwei Bestimmungen, die vorsehen, dass private, gemeinnützige sowie öffentliche Unternehmen und Organisationen mit mehr als 250 Beschäftigten in England, Wales und Schottland Daten über ihre geschlechtsspezifischen Lohnunterschiede veröffentlichen müssen. Es steht den Unternehmen dabei frei zu wählen, wie sie ihre Daten analysieren und welche Software ihnen dafür am besten geeignet scheint. Zur Verfügung stehen Tools wie beispielsweise Gapsquare. Die errechneten Daten müssen beglaubigt werden, und werden zusammen mit einer Erklärung über die Ursachen sowie einer Schilderung von geeigneten Maßnahmen veröffentlicht, die das Unternehmen ergreifen will, um die Lohnlücke zu schließen.
So werden Unternehmen angehalten, ihre Gehaltsstrukturen, Einstellungsprozesse und andere Faktoren, die zur Lohnlücke beitragen, zu überdenken, und sie bekommen Gelegenheit, eigenständig Anpassungen vorzunehmen. Die Unternehmen bestimmen selbst, wie die Informationen dargestellt werden – einzige Bedingung ist, dass sie auf der eigenen Website zugänglich sein müssen. Die Daten werden außerdem auf einer Website der Regierung gesammelt, die allen zugänglich ist.
Status Quo
Auf den ersten Blick scheint sich die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen tatsächlich zu verkleinern, gerade unter den jüngeren Beschäftigten. Unter den Vollzeittätigen zwischen 18 und 39 Jahren beträgt der Einkommensunterschied fast null. Werden jedoch alle Arbeitnehmenden, unabhängig vom Alter, einbezogen, liegt die Quote bei 18 Prozent und damit zwei Prozentpunkte über dem europäischen Durchschnitt. Der Unterschied erklärt sich nicht nur durch die Einbeziehung eines breiteren Altersspektrums, sondern auch dadurch, dass überdurchschnittlich viele Frauen tendenziell schlechter bezahlte Teilzeittätigkeiten ausüben. Tatsächlich liegt der durchschnittliche Stundensatz von Vollzeitbeschäftigten fünf Pfund über dem von Teilzeitbeschäftigten.
Die Einkommensunterschiede lassen sich in Großbritannien genau wie bei den nordischen und europäischen Nachbarn vor allem darauf zurückführen, dass Männer und Frauen sich sehr unterschiedlich auf Branchen und Berufe verteilen. Laut britischer Statistik ist die Lücke im Handwerk am größten, im Vertrieb und Kundenservice am geringsten.
Gut fürs Geschäft
Dass das Gesetz keine Sanktionen vorsieht, wird ein wenig zynisch gesehen. Doch die Equality and Human Rights Commission, kurz EHRC, die für die Durchsetzung der Berichterstattungsregeln zuständig ist, hat sich die übermittelten Entgeltdaten sehr genau angesehen und insgesamt 100 Unternehmen zur Rede gestellt, deren Daten verdächtig schienen. Darüber hinaus wurden nach fruchtlosem Verstreichen der Berichtsfristen im April 2018 und im Mai 2019 insgesamt 1.456 Unternehmen angeschrieben und zur Datenübermittlung aufgefordert. Insgesamt 47 Organisationen, die keine Entgeltdaten übermittelt haben, wurden namentlich veröffentlicht – ein „naming and shaming“ nach französischem Vorbild.
Die Berichterstattung über die geschlechtsspezifische Lohnlücke schuf zugleich die Möglichkeit, andere Formen von Diskriminierungen im Unternehmen zu unterbinden. Das „Department for Business, Energy, and Industrial Strategy“ sowie die „Race Disparity Unit“ führen derzeit Gespräche zur Berichterstattung der Unternehmen in Bezug auf die Lohnunterschiede zwischen unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen durch. Sollten entsprechende Berichtspflichten für die Wirtschaft eingeführt werden, wäre die Transparenz noch größer. Auf dieser Basis könnten auf individuelle Bedürfnisse zugeschnittene Entgeltstrategien entwickelt werden und die Unternehmen für Arbeitnehmende und den Markt attraktiver werden.
Nach dem Brexit
Je näher der Oktober rückt, desto mehr wird die Befürchtung laut, dass die bereits erzielten Fortschritte im Brexit-Gerangel verloren gehen könnten. Viele Unternehmen werden mit grundsätzlicheren Fragen beschäftigt sein, so dass die Entgeltgleichheit vorerst auf der Strecke bleiben könnte.
Doch es gibt auch allen Grund, optimistisch zu sein. Denn die Mehrheit der Unternehmen konnte die Lohnlücke zwischen den Berichtszeiträumen 2017/18 und 2018/19 bereits verkleinern, sogar dort, wo keine Verpflichtung bestand, faire Bezahlung öffentlich umzusetzen. Die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt BBC erklärte, in allen Geschäftsbereichen eine Parität von 50:50 umsetzen zu wollen und konnte die Lohnlücke im vergangenen Jahr um ein Fünftel reduzieren. Vorangegangen war der Initiative eine Untersuchung des EHRC, die deutlich machte, wie viele Frauen im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen unterbezahlt waren. Und auch bei der britischen Tageszeitung Guardian konnte der Gap in nur einem Jahr von 8,4 auf nur noch 4,9 Prozent Lohnlücke nahezu halbiert werden. Doch klarer Gewinner ist Marriott Hotels Limited: Die Stundenlohnlücke bei dem Hotelunternehmen beträgt genau 1,1 Prozent. Faire Bezahlung ist eben doch über Nacht möglich, wenn sie gewollt wird. Unternehmen wie die Fluggesellschaften Ryan Air und Easy Jet täten gut daran, sich an den Kollegen in den Medien und der Gastronomie ein Beispiel zu nehmen.
Nicht zuletzt löste das Gleichstellungsgesetz eine landesweite Diskussion über Lohngerechtigkeit aus, die Anlass zur Hoffnung gibt. Es gibt eine Fülle an Materialien und Medien zur Berichterstattung in Sachen Gender Pay Gap im Speziellen und fairer Bezahlung im Allgemeinen. Nicht ganz zufällig wählte das britische Gleichstellungsbüro den Slogan "Gender pay gap: Closing it together.“ Denn nur durch den Best Practice Austausch werden Unternehmen geeignete Strategien zur Umsetzung von fairer Bezahlung finden. Und gerade in Großbritannien könnte es sehr nützlich sein, schnell ans Ziel zu gelangen.
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