Verhandlungsseminare gehören abgeschafft!
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Das Bundesarbeitsgericht sieht das ähnlich
Verhandlungsgeschick rechtfertigt kein höheres Gehalt, entschied das Bundesarbeitsgericht letzte Woche. Geklagt hatte die frühere Mitarbeiterin eines sächsischen Metallunternehmens. In dritter Instanz bekam sie Recht, den entgangenen Lohn sowie eine Entschädigung zugesprochen. Weshalb diese Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts längst überfällig war – und wie Unternehmen das Prinzip „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ umsetzen können.
Erst vor wenigen Wochen hatte das Statistische Bundesamt die neuen Zahlen verkündet: Frauen bekommen in Deutschland noch immer knapp ein Fünftel weniger Geld für gleiche und gleichwertige Arbeit. Gründe für den durchschnittlichen Einkommensunterschied von 18 Prozent gibt es viele: Frauen arbeiten häufiger in Teilzeit, arbeiten oft in schlechter bezahlten Berufen, pausieren erziehungs- und pflegebedingt länger und gehen seltener in Führung. Die Ursachen für die Diskriminierung bei der Bezahlung sind – gelinde gesagt – komplex und vor allem in den Strukturen begründet. Doch um den Status Quo zu verteidigen, wird die Schuld gern den Frauen selbst zugeschoben. „Frauen wollen es doch gar nicht anders“, heißt es dann, das läge doch in der Natur der Sache: „Frauen legen eben mehr Wert auf Familie. Und Männer können ja auch gar keine Kinder kriegen oder stillen.“ Die Männer wiederum arbeiten eben gern, mögen Konkurrenz und lieben den Wettbewerb – und das könne man ja nun wirklich nicht der Politik oder den Unternehmen ankreiden!
„Frauen können eben nicht verhandeln“
Selber schuld sind Frauen aber nicht nur aufgrund der ihnen von Mutter Natur vorgegebenen Lebensentwürfe, sondern auch aus einem anderen, sehr einfachen Grund: „Frauen verhandeln schlechter als Männer“. Das Verhandlungsgeschick von Mitarbeitenden galt lange als legitime Begründung für Einkommensunterschiede im Betrieb – schließlich gehöre es belohnt, sich gut verkaufen zu können. Und wer sich umgekehrt schlecht verkaufe, sei selber schuld – und zwar ganz unabhängig davon, ob Verhandlungskompetenz für die zu besetzende Stelle erforderlich ist oder nicht. Dass großes Selbstvertrauen und ausgeprägtes Verhandlungsgeschick vom Berufseinstieg an belohnt werden, war und ist lange weitverbreiteter Usus. Beide Eigenschaften wurden und werden auch im weiteren Berufslebensverlauf, bei jeder Beförderung, jeder Gehaltserhöhung und jedem Jobwechsel, bei jedem einzelnen Karriereschritt belohnt.
Durchsetzungsstark – oder zickig?
Die – sehr einfache – Schlussfolgerung: Frauen müssen besser verhandeln lernen! Und selbstbewusster auftreten! Die Skala der Tipps, die wie Satire klingen, aber leider keine sind, reichen von „Verhandeln Sie wie ein Kerl, zeigen Sie, dass Sie die Hosen anhaben!“ bis zu „Lächeln Sie im Verhandlungsgespräch mit den Brüsten!“. Mit Ratschlägen wie diesen verdienen eine ganze Menge Coaches eine ganze Menge Geld, nur der Gender Pay Gap ließ sich bislang nicht schließen. Aus mehreren Gründen.
Erstens: Frauen verhandeln gar nicht schlechter. Zwar nahm auch die Wissenschaft lange an, dass das mangelnde Verhandlungsgeschick von Frauen zum Gender Pay Gap beitrüge. Doch neuere Studien zeigen, dass das Problem woanders liegt: Die Forderungen von Frauen werden anders bewertet als die von Männern. Eine zielstrebige Frau gilt nicht als durchsetzungsstark, sondern als zickig. Erfolgreiche Männer finden wir attraktiv, erfolgreiche Frauen sind uns suspekt, wir finden sie unsympathisch und möchten eher nicht mit ihnen zusammenarbeiten. Schuld am schlechten Ergebnis beim Aushandeln des Gehalts ist also der Gender Bias ihres Gegenübers: Vor den Vorurteilen in unser aller Köpfen ist – ob Chefin oder Personaler oder Beschäftigte – niemand gefeit, wir alle lassen sie unbewusst in unsere Gespräche und in unsere Entscheidungen einfließen.
Risikofaktor „Frau im gebärfähigen Alter“
Zweitens: Wenn es um die Gehaltserhöhung, Beförderung oder die Einstellung einer Frau geht, wird sie als Risiko eingestuft, weil sie Kinder bekommen und ausfallen könnte. Auch bei einer solchen Ausgangslage hilft Verhandlungsgeschick wenig. Dabei gehört der »Risikofaktor Frau im gebärfähigen Alter« dringend aus dem Vokabular von Personalabteilungen gestrichen.
Führung ist männlich, und Finanzen sind Männersache, so haben wir es gelernt. Das alte Schubladendenken abzuschaffen kann dauern. Die Einsicht allein hilft allerdings wenig, es braucht regelmäßiges Training. Doch je mehr Frauen wir in Führung sehen, je mehr mächtige Frauen uns begegnen, je selbstverständlicher Frauen auf allen Hierarchieebenen und in allen Bereichen des Berufslebens werden, desto mehr werden die jahrhundertealten Zuschreibungen verschwinden, die sich so fest in unseren Köpfen und in unserem Bauchgefühl verankert haben.
Um den Gender Pay Gap zu schließen, wäre es also um einiges sinnvoller, Personalabteilungen und Führungskräften regelmäßig Unconscious Bias-Training zu verordnen, als Frauen in Verhandlungsseminare zu schicken oder ihnen beizubringen, sich anders oder männlicher zu verhalten, um im Berufsleben erfolgreich zu sein. Was nützt die kompetenteste, durchsetzungsstärkste Kandidatin mit den allerbesten Verhandlungstechniken, wenn ihr Gegenüber diese Charaktereigenschaften bei einer Frau intuitiv unpassend findet, so dass sie gar keine Chance hat, eingestellt oder befördert zu werden?
Keine Angst vor Transparenz
Hinzu kommt: Es braucht Transparenz. Es wäre um ein Vielfaches leichter, wenn das Gehalt kein Ratespiel wäre, sondern die Strukturen von Anfang an transparent und Verhandlungen auf Augenhöhe möglich wären. Um ungerechtfertigte Einkommensunterschiede zu vermeiden, ist es äußerst wirksam, bereits in den Stellenausschreibungen die Höhe des Gehalts oder das Gehaltsband anzugeben – eine extrem einfache Lösung mit extrem großem Effekt. Es ist eine im Grunde recht kuriose Praxis, dass Bewerbende ihren Marktwert auf gut Glück erraten sollen und die am Ende ausgehandelte Gehaltshöhe eine Mischung aus Zufall und Geschick ist. Immerhin sind es die Unternehmen, die hier eine Leistung einkaufen und ihr Budget und die Wertschöpfungsketten so gut kennen sollten, dass eine Angabe darüber möglich sein sollte, wie viel sie für diese Leistung auszugeben bereit sind.
Glücklicherweise hat das Bundesarbeitsgericht nun bestätigt, was wir im FPI Beschäftigten längst raten und von uns zertifizierten Unternehmen längst empfehlen: Ungerechte Bezahlung lässt sich nicht durch den Besuch eines Verhandlungsseminars lösen. Und Unternehmen sind gut beraten, Gehaltsverhandlungen möglichst zu begrenzen.
Das Buch zum Urteil: Henrike von Platen: "Über Geld spricht man"
Pressemitteilung der Gesellschaft für Freiheitsrechte: "Gleicher Lohn ist keine Verhandlungssache"
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