Der 1. Fair Pay Management Circle: Das Entgelttransparenzgesetz
Transparenz als Chance
Wie Transparenz in der Unternehmenspraxis gelingen kann, stand beim ersten Fair Pay Management Circle Ende November in Berlin im Fokus. Etwa 30 Expertinnen und Entscheidungstragende aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik folgten der exklusiven Einladung ins Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend – und waren begeistert.
Wie konstruktiv und lösungsorientiert ein Austausch bei unterschiedlicher Interessenslage sein kann, bewies der erste Fair Pay Management Circle Ende November in Berlin: Ob Vorstand oder Personalabteilung, Betriebsrat oder Gleichstellungsauftrag, hier saßen alle Akteure an einem Tisch, um "Das Entgelttransparenzgesetz in der Umsetzung" zu diskutieren.
Die Teilnahme erfolgte ausschließlich auf persönliche Einladung, die Veranstaltung selbst unterlag der Chatham House Rule. Ein Konzept, das aufging: Die ausgewählten Gäste aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik berichteten offen von großen wie kleinen Herausforderungen im Unternehmensalltag, fragten gezielt nach den Strategien und Lösungsansätzen der anderen und erhielten aufschlussreiche Antworten.
Natürlich wird auch an dieser Stelle nichts weitergegeben, was Rückschluss auf die Referierenden oder Gäste, auf ihre Unternehmen oder Organisation zuließe – außer diese haben ausdrücklich zugestimmt, genannt zu werden.
Schieflage im Vergütungssystem
Dr. Julia Borggräfe hat ohnehin nichts gegen Transparenz einzuwenden. Die Juristin berichtete in ihrer Keynote beim Fair Pay Management Circle von der Herausforderung, ein objektives, faires geschlechtsneutrales Vergütungssystem für die Messe Berlin zu entwickeln. Teil des neuen Systems ist eine eigens entwickelte Bewertungsmatrix, basierend auf der Idee des Entgeltgleichheits-Checks. „Je systematischer und präziser die Bewertung von Funktionen“, so Borggräfe, „desto weniger Spielraum gibt es für ungleiche Bezahlung. Gerade die psychosozialen Anforderungen waren bei der Eingruppierung überhaupt nicht berücksichtigt worden und sorgten für eine Schieflage im Vergütungssystem.“
Treffende Tätigkeitsbeschreibungen sind auch im Tarifbereich extrem wichtig, hieß es in der sich anschließenden Diskussion. Dort würden Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen vor allem auf Führungsebene sichtbar werden. Ein weiterer Grund für die Lohnlücke unter Führungskräften dürfte sich bald von alleine erledigen: Frauen sind oft erst seit kurzer Zeit auf den entsprechenden Positionen zu finden.
Die Veröffentlichung von Management- und Vorstandsgehältern erleichtert die Gehaltsverhandlungen für Frauen zusätzlich, da sie ihren Marktwert sehr viel besser einschätzen können. Negative Auswirkungen habe Transparenz eher im Privaten, hieß es weiter, der Neidfaktor sei in Familie und Freundeskreis stärker ausgeprägt als in Unternehmen – gerade wenn diese den Kulturwandel befürworten. Nicht wenige Unternehmen sehen das Entgelttransparenzgesetz als Chance und begegnen dem Auskunftsanspruch proaktiv. Wer bereits transparente Vergütungssysteme etabliert hat, rechnet nicht mit Anfragen. Wo ein Wille, da auch ein Weg – auch ohne Gesetz.
Entgeltgleichheit ist keine Kür
Entgeltgleichheit im rechtlichen Sinne ist allerdings keine Kür, sondern Pflicht, auch daran wird erinnert. Das Entgelttransparenzgesetz unterstützt Unternehmen zwar in ihren Transparenzvorhaben, dennoch sind diese gefragt, selbst aktiv zu werden – ein Gesetz ist schließlich immer nur so gut wie seine Umsetzung.
Die Aktiengesellschaft Novartis hat sich für einen reaktiven Umgang mit dem Auskunftsanspruch entschieden. Das Biotechnologie- und Pharmazieunternehmen greift auf ein Stellenbewertungssystem zurück, bei dem eine Kombination aus summarischen und analytischen Verfahren Anwendung findet. „Anpassungen sind notwendig“, so Daniel Brunner, Junior HR Manager C&B, „aber im Unternehmen herrscht natürlich Unwille, Verschlechterungen zu akzeptieren, gerade bei der Verteilung der Benefits.“
Auch beim Lohn verzichtet niemand gern auf Privilegien. Eine der Lösungen, von denen im Circle berichtet wird, sind Nachteilsausgleiche. So können Lohnkürzungen vermieden werden, die Mitarbeitenden erhalten die Chance, sich weiter zu qualifizieren.
Verdienen Erzieherinnen und Ingenieure das Gleiche?
Wie wichtig eine neue Transparenzkultur auf dem Arbeitsmarkt der Zukunft ist, unterstreicht Angelica E. Röhr vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. „Transparenz ist für Unternehmen ein entscheidender Faktor im Wettbewerb um Talente. Neue Ansprüche an Flexibilität bedeuten für uns, passgenaue und angemessene Beschäftigungsmöglichkeiten in der Wissenschaft zu ermöglichen. Wer transparente Strukturen einführt, fördert gerechtere Strukturen im Unternehmen und letztlich auch Zufriedenheit unter den Mitarbeitenden. Transparenz kann wirkungsvoll zur Beseitigung des Gender Pay Gap beitragen. Neben dem Gehaltsgefüge gehören jedoch auch Wertschätzung und Entwicklungsmöglichkeiten zum Themenkomplex ‚Transparenz’.“ Und das, so die Geschäftsführerin, habe vor allem langfristige Auswirkungen.
„Im Grunde braucht es einen branchenübergreifenden Blick auf die Bewertung von Arbeit, das könnte sehr aufschlussreich sein“, ergänzt Julia Borggräfe „Das Prinzip lässt sich schließlich nicht nur auf Organisationsebene, sondern auch gesamtgesellschaftlich anwenden.“ So ließen sich systematische Diskriminierungen sichtbar machen und zum Beispiel auch herausfinden, ob die unterschiedlichen hohen Gehälter in Erziehungsberufen oder im Ingenieurwesen gerechtfertigt sind – oder ob wir radikal umdenken müssen, wie wir Arbeit bewerten.“
Und so kreiste die Diskussion beim ersten Fair Pay Management Circle um den schmerzhaften Verzicht auf Macht und Privilegien, um historisch gewachsene Strukturen und Nasenfaktoren und um den Umgang mit Geld und Neid. Vor allem kehrten die Teilnehmenden mit einem Fundus an praktischen Tipps für die Entwicklung objektiver Vergütungssysteme, neutraler Tätigkeitsbeschreibungen und fairer Kriterien an die Arbeit zurück. Bis zum nächsten Fair Pay Management Circle. Das nächste Unternehmensgespräch kreist um das Thema „Gleichstellung aus Unternehmensperspektive“.
Wenn Sie an einem Fair Pay Management Circle teilnehmen oder uns eine Expertin oder einen Unternehmensvertreter empfehlen möchten, die oder den wir unbedingt einladen sollten, schreiben Sie uns oder rufen Sie uns an!
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