Karrierekiller Ehegattensplitting – Augen auf bei der Steuererklärung
Ab sofort haben Steuerpflichtige länger Zeit für ihre Steuererklärung – letztmöglicher Abgabetermin ist ab 2019 nicht mehr der 31. Mai, sondern der 31. Juli. Das gibt Paaren genügend Zeit, um mal grundsätzliche Fragen zu diskutieren – und über die Folgen der Steuerklassen für die Gleichstellung innerhalb der Familie nachzudenken.
Es klingt märchenhaft: Man wählt die Ehe als symbolisches Schloss der Liebe und zahlt fortan obendrein weniger Steuern. Das Paar profitiert vom Wechsel der Steuerklasse und bei Zusammenveranlagung vom Ehegattensplitting. Ein attraktives Hochzeitsgeschenk, das in dieser Form weltweit einmalig ist. Auf Antrag werden die Eheleute gemeinsam veranlagt und es wird gesplittet: Die Einkommen werden addiert, dann halbiert und die darauf anfallende Steuer verdoppelt. Wenn die Partner sich für die Steuerklassenkombination 3/5 entscheiden, hat das Familienkonto am Ende des Monats oft mehr Netto vom Brutto. Die weniger verdienende Person zahlt in der Steuerklasse 5 zwar höhere Steuern. Die Freibeträge aber werden dem – meist männlichen – Besserverdiener überschrieben, der in der Steuerklasse 3 deutlich niedriger besteuert wird. Diese Variante ist für viele Paare die wirtschaftlich klügste Lösung – und lockt mit steuerlichen Vorteilen. Doch gesellschaftspolitisch ist das sehr kurz gedacht. Denn das Ehegattensplitting birgt das Risiko finanzieller Abhängigkeit für die Person mit dem geringeren Einkommen. Und das ist hierzulande meist immer noch: die Frau.
Steuerprivileg oder Lohnfalle?
Hauptverdiener ist bei drei Vierteln aller Paare hierzulande immer noch der Mann. Bei gut jedem zehnten Paar haben beide ähnlich hohe Einkommen. Und bei nur 14 Prozent der Paare verdiente die Frau im Jahr 2017 mehr. Unterm Strich läuft es darauf hinaus, dass sich die meisten Paare dafür entscheiden, dass nach der Hochzeit ER in die Steuerklasse 3 wechselt und SIE, mit dem geringeren Einkommen, in die Steuerklasse 5. Denn erst wenn ein Ehepartner mehr verdient als der andere oder nur einer von beiden erwerbstätig ist, lohnt sich das Ehegattensplitting: Je größer der Lohnunterschied, desto größer die Ausbeute.
Doch gerecht geht es in einer solchen Konstellation nur zu, wenn tatsächlich alle Finanzen über ein gemeinsames Konto geführt werden. Wer Steuerklasse 5 hat, bekommt weniger von seinem Geld zu Gesicht – so wächst der Unterschied von der Brutto- über die Nettosumme noch weiter. Letztlich erzeugt die Einkommensdifferenz auch psychologisch eine Schieflage – wer weniger auf dem Konto hat, fühlt sich weniger wert. Nach einer Partnerschaft auf Augenhöhe klingt das erstmal nicht.
Kommen Kinder ins Spiel, wird die Krux noch deutlicher: Sämtliche Lohnersatzleistungen, zu denen neben dem Arbeitslosen- und Krankengeld auch das Mutterschafts- und Elterngeld gehören, werden am Nettolohn bemessen. Die Wahl der Steuerklasse hat also auch einen Einfluss auf die Höhe des Elterngeldes. Paaren wird oft geraten, dass die Frauen lange vor der Geburt in die Steuerklasse 3 wechseln, um ein höheres Elterngeld zu erzielen. Doch das will geplant sein, da sich Steuerklassen nicht beliebig oft zu jedem Zeitpunkt wechseln lassen. In der Elternzeit sollen Frauen dann in die Steuerklasse 5 wechseln, damit der Mann das höhere Nettoeinkommen erzielen kann. Das ist aus familiärer Sicht erst einmal vorteilhaft – doch in vielen Fällen schnappt die Falle hier endgültig zu, denn der Wechsel in die Steuerklasse 4, wenn beide Elternteile wieder berufstätig sind, bleibt häufig aus. Beim Wiedereinstieg in den Beruf geht die Abwärtsspirale für Frauen weiter: Es bleibt meist bei Teilzeit. Denn gemessen am verbleibenden Nettoeinkommen der Frau scheint sich der Wiedereinstieg oft kaum zu lohnen – gerade in Teilzeit und wenn die Kinderbetreuungskosten gegengerechnet werden.
Ein Dinosaurier im Bundestag
Und so bevorzugt das derzeitige Steuersystem ein traditionelles Bild der Ehe und Familie und zementiert die klassische Rollenverteilung, in der der Mann gut verdient und die Frau sehr viel weniger oder gar nichts zum Familieneinkommen beiträgt. In aller Regel ist es eine Frage der ökonomischen Vernunft, dass die Frau zu Hause bleibt, spätestens wenn Kinder da sind.
Und genauso war es auch gedacht: Die derzeitige Regelung besteht seit den 1950er Jahren und stärkt ökonomisch die Alleinverdienendenehe. Die Steuerklassen manifestieren bis heute tradierte Rollen, die die Lebensrealität vieler Menschen in Deutschland nicht mehr widerspiegeln. Rund 40 Prozent der Kinder werden heute nicht mehr in Ehen geboren; die Zahl der Eheschließungen hat sich seit 1950 halbiert. Der Reformwille auf politischer Seite ist gering. Dabei hat die Evaluation familienpolitischer Leistungen bereits 2013 gezeigt, dass das Ehegattensplitting den Staat jährlich mehr als 20 Milliarden Euro kostet – Geld, das sehr gut zur Förderung von Familien, für den Kita-Ausbau oder die Betreuung von Schulkindern, genutzt werden könnte. Hinzu kommt, dass nicht nur das Steuersystem Anreize für die Alleinverdienendenehe schafft: die beitragsfreie Mitversicherung oder Minijobs sind ebenso Zahnräder im Anti-Gleichstellungs-System.
Die Reform des Steuersystems samt Anpassung der Sozialsysteme scheint die heilige Kuh auf dem Eis in dieser bundespolitischen Debatte. Mit fatalen Folgen, wie auch Maria Wersig, Juraprofessorin und Präsidentin des Deutschen Juristinnenbundes, in ihrer Dissertation beschreibt: Das Ehegattensplitting zementiert die Hausfrauenehe – bis heute. Denn selbst Paare mit den allerbesten Absichten, die Arbeits- und Lebenswelten partnerschaftlich aufzuteilen, landen häufig wieder in ebenjenen überholten Mustern, die weder Frauen noch Männer wollen. Bis zur Reform des Steuersystems heißt es also für jedes Paar, sehr genau hinzuschauen – und offen über Geld, Steuern und Gleichstellung zu sprechen.
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