Fairness als Führungskompetenz
Ein Interview mit dem Fairness-Experten Ulrich Wiek
„Fairness als Führungskompetenz“ heißt das gerade erschienene Buch des Fairness-Experten Dr. Ulrich Wiek. Wir haben mit ihm über Glück und Zufall bei der Gehaltsfindung, über Leistungskriterien und über die Kosten für unfaires Verhalten gesprochen.
Fair Pay Innovation Lab: Fairness lohnt sich, Unfairness kostet, schreiben Sie in Ihrem Buch. Was macht unfaires Führungsverhalten in der Praxis so teuer?
Dr. Ulrich Wiek: Unfairness ist der „Kooperationskiller“ schlechthin. Unfaire Führung demotiviert die Mitarbeitenden, schürt Misstrauen und senkt die Kooperationsbereitschaft.
Unfairness löst langfristig massive gesundheitliche Schäden aus. Die Folge sind Stressreaktionen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schlafstörungen bis hin zu Depressionen.
Unfaire Unternehmenspraktiken führen außerdem zu spürbaren Imageschäden, höheren Kündigungsraten, mehr Fehlzeiten und geschäftsschädigenden Verhaltensweisen wie Diebstahl oder Sabotage.
Führungskräfte und Unternehmen, die sich unfair verhalten, müssen mit häufigeren Rechtsstreitigkeiten, Strafzahlungen und sogar Haftstrafen rechnen. Hier hat sich die Rechtslage und die Rechtsprechung der Gerichte in letzter Zeit erkennbar verändert.
Das Fazit: Unfaires Führungsverhalten ist teuer für alle Beteiligten.
"In an uncertain world, fairness finishes first", zitieren Sie. Inwiefern Ist Fairness ein Kriterium für erfolgreiche Arbeitgebende, und wie können Unternehmen davon profitieren?
Der Ruf eines Unternehmens hat maßgeblichen Einfluss auf die Attraktivität als ArbeitgeberIn. In Zeiten des Fachkräftemangels profitieren Unternehmen, wenn sie sich in der öffentlichen Wahrnehmung als fair und anständig positionieren können.
Glück und Zufall spielen eine große Rolle bei der Gehaltsfindung, behaupten Sie. Heißt das, in den Gehaltsverhandlungen herrscht ohnehin Willkür?
Wenn die Vergütung individuell und ohne Transparenz ausgehandelt wird, scheint der „Willkür-Faktor“ besonders groß zu sein. Denn was wird da eigentlich vergütet? Leistung? Wenn ja, welche? Die Leistung über das ganze Jahr hinweg, oder wird eher das Verhandlungsgeschick der einzelnen Person in der Gehaltsverhandlung belohnt? Welchen Einfluss hat dabei der „Sympathie-Faktor“?
In den allermeisten Unternehmen wird leistungsorientiert bezahlt. Aber wie lässt sich Leistung überhaupt definieren, und wie kann sie gemessen werden?
Die entscheidende Frage ist: Was verstehen wir unter Leistung? In vielen Unternehmen wird Leistung anhand von Zahlenwerten wie z.B. persönlichen Umsatzzahlen gemessen – ohne zu beachten, welche schädigenden Nebeneffekte solch ein Anreizsystem entfaltet. In einem solchen System werden Egoismen, Einzelkämpfertum und Rivalitäten belohnt. Andere für ein Unternehmen wichtige Leistungsbestandteile werden dabei oft gar nicht berücksichtigt. Wenn sich Kooperationsfähigkeit, Hilfsbereitschaft oder Know How-Transfer nicht lohnen, heißt das umgekehrt auch, dass wir häufig kontraproduktive „Leistungen“ vergüten.
Ich plädiere daher dafür, Verhaltenskomponenten wie beispielsweise Fairness und Kooperationsfähigkeit gezielt zur Leistung hinzuzuziehen. Diese Komponenten lassen sich zwar nicht so einfach in Geldeinheiten umrechnen, aber durchaus „nachweisen“. Wir brauchen dazu Beschreibungen von gewünschten Verhaltensweisen, z.B. „transparent sein“, „begründen“ oder „gegen Unfairness aktiv einschreiten“. Es lässt sich überprüfen, ob jemand sich so verhält.
Wenn wir Leistung als Kriterium nutzen wollen, erscheint mir in vielen Fällen auch etwas mehr Demut bei der Einschätzung der eigenen Leistungen angebracht zu sein. Wir vergessen häufig, wie ungleich, unfair und zufällig die Startbedingungen für Einzelne sind. Auch wenn es viele nicht gerne hören: Wir wissen heute, dass – insbesondere in Deutschland – Karrieren, Leistungen und Erfolge stark abhängen von dem Glück und Zufall, bestenfalls als Mann in eine bestimmte Familie und ein bestimmtes Land hineingeboren worden zu sein, auf gute Lehrkräfte in einer guten Schule zu treffen oder auch schlicht gesund zu sein.
In Deutschland ist es weiterhin ein Tabu, über Geld zu sprechen. Glauben Sie, dass das so bleiben wird, oder beobachten Sie eine Entwicklung hin zu mehr Fairness und Transparenz?
Die Gesetzgebung setzt Impulse, z.B. durch das Entgelttransparenzgesetz. Menschen ist Transparenz wichtig. Vergütungsunterschiede werden durchaus akzeptiert – vorausgesetzt sie werden begründet und sind – zumindest im Großen und Ganzen – nachvollziehbar.
Wie sähe Ihr ideales Gehaltssystem aus?
Ein erster Ansatzpunkt ist der Verzicht auf das rein marktwirtschaftliche Prinzip der Gehaltsfestlegung. Der Markt als alleiniges oder auch dominantes Entscheidungsprinzip führt nicht zu gerechten Vergütungen, was wir ja unter anderem an den Vergütungsunterschieden zwischen Männern und Frauen sehen. Auch hier sind gesetzliche Vorgaben notwendig.
Gesetze braucht es zweitens auch, um Exzesse an beiden Enden der Gehaltsstrukturen zu eliminieren und für eine Absicherung nach unten und eine Begrenzung bei den obersten Gehaltsstufen zu sorgen. Es ist kaum zu begründen, warum der Vergütungsunterschied zwischen dem VW-Konzernchef und einem VW-Projektleiter heute beim 127-fachen liegt. Ganz zu schweigen von der Differenz zwischen dem VW-Konzernchef, der mehrere Millionen Euro verdient, und dem Gehalt der Bundeskanzlerin, das bei ca. 300.000 Euro liegt. Mit „Leistung“ und „Verantwortung“ lassen sich Unterschiede in dieser Größenordnung nicht rechtfertigen.
Wenn wir die Gehaltsunterschiede verringern, entschärfen wir auch ein gravierendes Fairnessproblem bei Vergütungen. Denn die meisten Menschen empfinden nicht so sehr die absolute Höhe der Vergütung als unfair, sondern den Unterschied im Vergleich mit anderen. Es geht nicht um „Gleichmacherei“, sondern um eine realistischere Einschätzung von „Leistungsunterschieden“. Bisherige Forschungen legen nahe, dass nach Einschätzung vieler Menschen der Abstand zwischen den Spitzenverdienenden und dem Lohn einer Hilfskraft nicht mehr als das 45-Fache überschreiten sollte. Dieser Faktor ließe durchaus noch genügend Spielraum für „leistungsorientierte“ Vergütungen.
Als dritten Ansatzpunkt sehe ich die schon genannte stärkere teamorientierte Vergütung, bei der Leistungskriterien einbezogen werden, die zur Zusammenarbeit motivieren, also Kriterien wie Kooperationsfähigkeit, Wissensweitergabe – oder eben Fairness.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Dr. Ulrich Wiek, Betriebswirt und Sozialwissenschaftler, ist als zertifizierter Fairness-Coach/-trainer Experte für Werte und Fairness in Kommunikation & Führung mit Projekten im In- und Ausland. Er ist Autor des Fachbuches „Fairness als Führungskompetenz“, das gerade im Verlag Springer Gabler erschienen ist.
ZUR AUTORENWEBSEITE
Über das Buch: Das Gefühl, unfair bezahlt zu werden, führt bei vielen Menschen u.a. zu Demotivation und Misstrauen. Dabei geht es uns insbesondere um gerechte Relationen und Transparenz. Wenn Leistungskriterien und Vergütungsunterschiede begründet werden (können), werden sie in einem gewissen Umfang auch akzeptiert.
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