Zielgröße Null: Unternehmenskulturen im Wandel
Fair Pay Management Circle am 16. April 2019 bei der Allianz in Hamburg
Und sie verändern sich doch, die Unternehmen! In der Praxis engagieren sich längst viele Unternehmen weit über die Gesetzgebung hinaus in Sachen Lohngerechtigkeit und Entgelttransparenz. Doch inwiefern ist eine erfolgreiche Entgeltstrategie Teil des Kulturwandels? Darüber wurde beim Fair Pay Management Circle bei der Allianz in Hamburg diskutiert.
„Das haben wir schon immer so gemacht!“ Veränderung ist nicht immer leicht – und doch unausweichlich. Gerade eher traditionelle Branchen stehen vor der Herausforderung, sich den Veränderungen am Markt anzupassen und zugleich den internen Kulturwandel zu bewältigen. Auch im Finanz- und Versicherungssektor ist der Wandel spürbar. Noch immer gehören Banken und Versicherungen zu den Unternehmen mit den größten unternehmensinternen Einkommensunterschieden zwischen Frauen und Männern – bei Versicherungen liegt der durchschnittliche Gender Pay Gap mit 28 Prozent deutlich über dem sonstigen Durchschnitt von 21 Prozent.
An der Allianz liegt das nicht. Beim weltweit größten Versicherungskonzern konnte der Gender Pay Gap nahezu geschlossen werden, längst wird viel Wert auf Transparenz und Kommunikation gelegt, auch und gerade beim Thema Geld. Am 16. April 2019 war die Versicherung Gastgeberin für einen Fair Pay Management Circle in Hamburg, wo in einem kleinen Kreis mit ausgewählten Gästen aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik das Thema „Unternehmenskulturen im Wandel“ zur Diskussion stand.
Die Politik in der Pflicht
„Das alte disziplinarische Führungsverhalten hat ausgedient“, sagt Kathrin Janicke (Foto Mitte), die den Bereich Rewards & Performance bei der Allianz leitet und eingangs die Entgeltstrategie der Allianz vorstellt. „Überhaupt hat sich in den letzten 25 Jahren viel getan. Früher bekamen Männer beim ersten Kind eine Gehaltserhöhung, während für die werdenden Mütter klar war, dass es das jetzt erstmal war. Das beobachte ich so nicht mehr.“ Inzwischen werde sehr genau geschaut, wo Männer und Frauen in dem tarifgebundenen Gehaltssystem verortet sind. Bei allen Ausreißern – nach unten wie nach oben – wird geprüft, ob Unterschiede erklärt werden können oder Anpassungen stattfinden müssen. Jährlich. Die Verantwortung für Lohngerechtigkeit sieht Janicke aber nicht nur bei den Unternehmen: „Heute sehe ich vor allem die Politik in der Pflicht, für gute und bezahlbare Kinderbetreuung zu sorgen – anstatt über die Elternzeit zweimonatige Familienurlaube querzufinanzieren.”
Doch nicht nur bei den Versicherungen, auch bei Banken ist der Wandel in vollem Gange. Frauke Hegemann (auf dem Foto links), seit Kurzem COO bei der comdirect, sieht das sehr positiv: „Vom Change profitieren alle. In gemischten Teams zu arbeiten ist sehr inspirierend, gerade auf den oberen Hierarchieebenen.“ Auch das deutsche Kreditinstitut mit Sitz in Quickborn bei Hamburg hat seine Strategie geändert. Heute liegt der Fokus auf Themen wie Frauen und Finanzen sowie Frauen in Führung. Strategiewechsel und Kulturwandel gehen dabei Hand in Hand: „Auch im Finanzbereich wurde früher über Geld geschwiegen. Das ist heute anders. Vor allem die jüngeren Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen tauschen sich relativ offen über ihre Gehälter aus. Dies führt automatisch zu mehr Transparenz und Gleichbehandlung.”
Wo kein Wille ist, braucht es Gesetze
Nicht in allen Unternehmen wird der Wandel proaktiv angegangen: Wo kein Wille ist, braucht es Gesetze. Doch nicht einmal die sind immer zielführend, wie Markulf Behrendt, Rechtsanwalt und Partner bei Allen & Overy das Inkrafttreten des Entgelttransparenzgesetzes kommentiert: „Wir hatten erwartet, dass ein kleiner Ruck durch die Unternehmen gehen würde – er blieb aus. Das Interesse ist verschwindend gering, die Erfahrungen sind sehr ernüchternd.“ Das liege auch an der Ausgestaltung des Gesetzes, so der Entgeltexperte: „Ein Median hat keinerlei Aussagewert – für Transparenz wird so nicht gesorgt.“ Auch Kathrin Janickes Praxiserfahrungen mit dem Gesetz sind eher enttäuschend: „Der Auskunftsanspruch wird selten genutzt, und die Antwort entspricht oft nicht der Erwartung der Beschäftigten.“ Dennoch sei das Gesetz ein sehr gutes Signal, sagt Janicke: „Das Gesetz hat dafür gesorgt, dass mehr über Equal Pay gesprochen wird.“
Ungenutzte Eltern-Kind-Zimmer
Es gibt also Verbesserungspotential. Aber ohnehin gehen Veränderungen immer auch mit Experimenten einher, die mal mehr, mal weniger zielführend sind. Nicht alle Beschäftigten können an garagenähnlichen Arbeitsplätzen arbeiten. Nicht alle wollen im Home Office tätig sein. Und nicht jedes Vereinbarkeitsangebot wird auch angenommen: So manches Eltern-Kind-Zimmer bleibt auf ewig ungenutzt. Kein Grund, in der Praxis nicht weitere Maßnahmen zu erproben, sind sich alle Anwesenden einig.
Uneinigkeit herrscht einzig bei der Frage, ob es tatsächlich zu wenig geeignete Frauen für Führungspositionen gibt oder ob die Unternehmen es am Ende mit den Frauen in Führung gar nicht so ernst meinen wie sie sagen. Letzteres gilt zumindest für jene Unternehmen, die sich in Sachen Frauenquote die Zielgröße Null gesetzt haben. Sehr viel besser wäre es, sich die Zielgröße Null in Sachen Entgelttransparenz zu setzen: Null Prozent Gender Pay Gap. Dafür braucht es allerdings sehr wohl Frauen in Führung. Und den Willen, sich zu verändern.
Wie bei jedem Fair Pay Management Circle erfolgte die Teilnahme ausschließlich auf persönliche Einladung, die Veranstaltung selbst unterlag der Chatham House Rule, die beste Voraussetzung für einen offenen und konstruktiven Austausch. Wir geben daher nichts weiter, was Rückschluss auf die Referierenden oder Gäste, auf ihre Unternehmen oder Organisation zuließe – außer diese haben ausdrücklich zugestimmt, genannt zu werden.
Der nächste Fair Pay Management Circle findet am 27. Juni 2019 bei SAP in Walldorf statt, wo das FPI zum zweiten Mal zu Gast ist und Transparenz im internationalen Kontext Thema sein wird.
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